Grammatik - online-Mitmachwörterbuch Wittgensteiner Platt

     online - Mitmachwörterbuch Wittgensteiner Platt
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                                              Hgg. von Dr. Peter Kickartz
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Grammatik

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  Einige Besonderheiten  
    der Wittgensteinrt Mundart        
Dr. Peter Kickartz


Zur Grammatik des Wittgensteiner Platt  
  
                                                                      
Im Folgende wird stets zu beachten sein, daß auch die Grammatik von Ort zu Ort Unterschiede aufweisen kann und aufweist. Um beginnen zu können, wird zunächst die in Raumland(Rld) gesprochene Variante aufgezeichnet.

A. Konjugation
          

I. Konjugation von sein, hon und wäre                  

Sein, hon und wäre sind Vollverben und Hilfszeitwörter.                                                                        
Als  Hilfszeitwörter ermöglichen sie es,  im Verbund mit dem jeweiligen Vollverb bestimmte Zeitformen und das Passiv zu bilden.

1. "sein" (Hem) - bin                                                                     

INDIKATIV                                                                                                                                     
Präsens    Präteritum   Futur I             Perfekt        Plusquamperfekt            Futur II
ech sein    woar         wären sei        sein gewäse     woar gewäse         wären gewäse sei
dü bäst     woarschd   wä(r)schd sei   bäsd gewäse    woarschd gewäse   warschd gewäse sei
hä äss      woar         wä(r)d sei       äss gewäse      woar gewäse         ward gewäse sei
mer sein   woaren      wä(r)en sei      sein gewäse     woa(re)n gewäse    wären gewäse sei
ehr seid    woart        wärd sei          seid gewäse     woard gewäse        wärt gewäse sei
se sein     woaren      wären sei        sein gewäse     woa(re)n gewäse    wären gewäse sei

KONJUNKTiV (Möglichkeitsform)
Präsens:
Ech weer, dü weerschd, hä/se/äs/dos weer, mer weeren, ehr weerd, se weeren. Hem."Ech weer gäre haure dabei, awwa es ged ned." (Ich wäre gerne heute dabei, aber es geht nicht.)

Die Mundart kennt zur Bildung des Konjunktiv, anders als das Hochdeutsche, kein "würde". An seine Stelle tritt: "deed" - täte. Hem: "Wenn dos sei müss, deed  ech sugoar en Bäsesteel frässe." (Wenn das sein muß, würde ich sogar einen Besenstiel fressen.)

Perfekt:
ech weer gewäse, dü weerschd gewäse, hä/se/ äs/dos weer gewäse, mer weeren gewäse, ehr weerd gewäse, se weeren gewäse. "Hä weer gäre bei deim Gebürdsdaag dabei gewäse, awwa hä woar kraank." (Er wäre gerne bei deinem Geburtstag dabei gewesen, aber er war krank.) "Mer weeren gäster ee Dotzela gewäse, wenn's ned geraand het." (Wr wären gestern in Dotzlar gewesen wenn es nicht geregnet hätte.)

2. "hon" - h a b e n                                                          

INDIKATIV                                                                                                                                     
    Präsens  Präeteritum  Futur I           Perfekt         Plusqamperfekt     Futur II
ech.....hon....hat........ wären hon....... hon gehat.... hat gehat........  wären gehat hon
dü..... host... harrest...wearschd hon...host gehat...  harrest gehat... wearschd gehat hon
hä..... hott.... hatt........weard hon.......hott gehat.... hadde gehat.... weard gehat hon
mer....honn...harren.. .wären hon.......hon gehat.....harren gehat....  wären gehat hon
ehr.... hott..   harret.... weard hon.......hot gehat....  harret gehat....  weart gehat hon
se.....  hon....  harren ...wären hon.......hon gehat....  harren gehat...   wären gehat hon


KONJUNKTIV
Präsens:
ech het... due hettst/herrest... hä/äs/dos het... mer herren... ehr herret... se herren
"Dos Madche saat, äs het gäre e poar Zockasteecha." (Das Mädchen sagte, es hätte gerne ein paar Zuckersteinchen.)



3. Von "wäre" - werden

INDIKATIV
          Präsens         Präteritum       Futur I              Perfekt         Plusqamperfekt      Futur II
 ech....wären.......     wodde.....        wären(wäre)..... sein won...... woar (won).....      wären (won) sei
 dü.... wearschd...    worresd....
 hä.... weard........    wodde......            u.s.w.                u.s.w.           u.s.w.                   u.s.w.
 mer.. wären........    wodden.....
 ehr... wärd...... ..     woddet......
 se.... wären........     wodden.....


Anmerkungen:

Betonte und unbetonte Personalpronomina.

Zu den Personalpronomina gibt es betonte und unbetonte (schwache) Formen. Die betonten Formen wurden den vorstehenden Konjugationstabellen zugrundegelegt; sie entsprechen den schriftdeutschen Formen. Die unbetont schwachen Formen sind eine mundartliche Eigenheit; sie finden sich meist nachgestellt.

Unbetonte Personalpronomina:

Zur zweiten Person im Singular:
''de'' (schwach), statt  "dü". "Host de da goar kee Zeit mieh feer mech?" Mit Abbreviatur: "Hoste ..." Das "de" schrumpft regelmäßig zu  "e" und  wird dann angehängt: "Hoste da goar kee Zeit feer mech?" (Hast du denn gar keine Zeit für mich?)

Zur dritten Person im Singular:
"e" (schwach) statt "hä". Diese schwache Form wird stets angehängt.  "Hotte dos da ned gesäh?" (Hat er das denn nicht gesehen?) Auch  "re" (stets angehängt): "Deere doch baale komme!" (Käme er doch bald ! Rhotazismus)

Zur ersten Person im Plural:
"ma" (schwach) statt "mer". "Ma sein haure unnawägs em Sejerlaand." (Wir sind heute unterwegs im Siegerland.)  "Sein ma baale om Ziel?" (Sind wir bald am Ziel?) Mit Abbreviatur: "Seima ..."

Bei nachgestetlltem "ma" wird das "n" von "hon" ( hon ma) assismiliert, so dass "homma" entsteht. "Homma naud besseres ze dünn?" Ebenso bei kinn (können) "kimma", wünn (wollen) "wümma", dünn (tun) "dümma", sinn (sollen) "simma".

Zur zweiten Person im Pural:
"a" (schwach) statt "ehr". Das schwache "a" kommt nur angehängt vor: "Hotta (= hot ehr) ö Füßball gespeelt?" (Habt ihr auch Fußball gespielt?)

Sonstiges zur dritten Person im Singular:

Neben "hä" gibt   es "se", "äs". Statt der Personalpronominana "se" und "äs" verwendt man oft besser  den bestimmten Artikel. "die" oder "de" und "dos." "Dos  äss unnawägs num Stenzel." (Sie ist unterwegs nach Stünzel.) Statt: "Äs äss unnawägs..."  Das ist schwerfällig.

Außerdem gibt es "ma" - man. ''Ma'' hot grusse Plene." (Man hat große Pläne.)

Anmerkungen:
1. Es empfiehlt sich wohl nicht, "hoste", "hotte", "seima", "homma", "kimma"."wümma", "dümma", "simma" u. dgl. mit Apostroph zu schreiben.
2. Es liegt nahe, bei "hotte" das "t" zu verdoppeln, obwohl es ausgeschrieben heißt: "hot hä".
3. Zu "es" = äs" findet bei nachgestelltem "es" eine Lautumwandlung in "r" statt:  Mer ärres ned güd. (s. Rhotazismus)  Aber: Es äss ma ned güd.


Das Platt kennt und ermöglicht den differenzierten Gebrauch der Tempora. (Ma wären schon o Ort un Stelle gewäse sei, eender dass die annere dro geducht hon, ins du ze süche.) Jedoch wird wie im Schriftdeutschen von der Fülle der Formen und Differnzierungsmöglichkeitenn nur selten Gebrauch gemacht.


II. Die Modalverben

 1. Modalverben modifizieren das Vollverb, mit dem sie verbunden sind; sie treten dewegen meist in Verbindung mit einem Vollverb auf. Sie können jedoch auch alleine stehen.  

 Mundartliche Modalverben (Rld):                      Hochdeutsche Modalverben:
 daffe, kinne,                                                    dürfen, können, mögen
 sin, wün, müsse                                               sollen, wollen, müssen


 2. daffe, dofde, gedofd - dürfen

Indikativ

 ech daffen... dofde.....wären daffe ....    hon gedofd ...wären gedofd hon   
 dü dafsd ...  dofdesd
 hä daff   ...   dofde
 mer daffen. dofden       u.s.w.                u.s.w.                u.s.w.
 ehr dafd ...  dofdet
 se daffen ..  dofden

 Konjunktiv

 Präsens: ech daffde, dü daffdest
 "Hä saad, ech daffde noch ned naus genn." (Er sagte, ich dürfe noch nicht heraus gehen.)  

 3. Ein äquivalentes mundartliches Wort für "mögen" gibt es nicht. Im allgemeinen kann man statt dessen "deed"  (täte, von "dünn" - tun) oder "hett" (hätte), "gäre wünn" (gerne wollen), "gäre hon wünn" (gerne haben wollen),  "Lust hon" (Lust haben) verwenden.

 Zum Beispiel: "Ech deed haure gäre eed's Kino genn." (Ich möchte heute gerne ins Kino gehen. = Ich würde gerne...) "Ech het gäre noch e Bier." (Ich möchte gerne noch ein Bier haben.) "Hä hot mech gäre." (Er mag mich.) "Dos deed ech ö gäre kinne." (Das möchte ich auch gerne könnnen.) "Ech deed gäre medgenn." (Ich möchte gerne mitgehen.) "Ech wäll deer eens saa!" (Ich möchte dir eins sagen!) "Deere doch baale komme!" (Möchte/Würde er doch bald kommen!) "Sall komme, wos du komme wäll!" (Soll kommen, was da kommen mag/ will!) "Salle doch gen, wuhenne wäll!" (Mag er doch gehen, wohin er will !)

 4. kinne, kunn, gekunnd - können


Indikativ

 ech kann ...  kunn ......wären kinne ...hon gekunnd .... wären gekunnd hon
 dü kannsd ...kunnsd
 hä kann ....   kunn
 mer kinn ..   kunnen      u.s.w.              u.s.w.                   u.s.w.
 ehr kinnd .   kunnd
 se kinn  ...   kunnen

 Konjunktiv:

 Präsens: ech kinnn, dü kinn(e)sd...
 "Hä hot geschreewe, hä kinn noch ned komme." (Er hat geschrieben, er könne noch nicht kommen.)

 5. sin, sull, gesulld - sollen

Indikativ

 ech sall... sull  ...mer wären sin...hon gesulld ...wären gesulld hon
 dü sad  ...sud
 hä sall ..  sull
 mer sin ..sullen       u.s.w.           u.s.w.                u.s.w.
 ehr sid .. sulld
 se sin ... sullen

 Konjunktiv:

Präsens: ech sill, dü sill(e)sd...
Hä mennde, dü sillesd mul dei Maul haale." (Er meinte, du solltest einmal dein Maul halten.)

 6. wünn, wull, gewulld - wollen

Indikativ

 ech wäll ... wull ...wären wün ... hon gewulld ....wären gewulld hon
 dü wäd ...  wud
 hä wäll ...  wull
 mer wünn .wullen   u.s.w.          u.s.w.                 u.s.w.
 ehr wüd ... wuld
 se wünn ... wullen

 Konjunktiv:
 ech will, dü widd, hä will, mer willen, ehr will(e)d, se willen.
 "Alle saaren, se willen baale naud mieh vo däm dumme Wagg wesse." (Alle sagten, sie wollten bald nichts mehr von dem dummen Zeug wissen.)

 7. müsse, müssde, gemüssd

Indikativ

 ech müss    ... müssde ... wären müsse....hon gemüssd ... wären gemüssd hon
dü müssd   ...  müssdest
 hä müss ..... müssde
 mer müssen ..müssden        u.s.w.            u.s.w.                    u.s.w.
 ehr müssd ....müssdet
 se müssen .... müssden

 Konjunktiv:
 ech müssde, dü müssdest u..w.
 "Se won sech eenich: Idzt müssden se sech awwa wagglech güd benämme." (Sie waren sich einig: Jetzt müssten sie sich aber wirklich gut benehmen.)


III. Die Konjugation eines regelmäßigen, schwachen Verbs


1. Für das Aktiv
Regelmäßig schwache Konjugation
froo, froote, gefroot  - fragen, fragte, gefragt

Die Tempora werden gebildet, indem an den Stamm des Verbs  - hier: "froo" - folgende Silben bzw. Buchstaben angefügt werden und zum Futur I und II das Hilfszeitwort "wäre" , zu Perfekt und Plusquamperfekt das Hilfszeitwort "hon" verwendet wird."



INDIKATIV
      Praesens   Praeteritum     Futur I                 Perfekt          Plusqamerfekt           Futur II
ech.... . froo-n......froo-de........ wären froo.........hon gefrood....  hat gefrood.........  wären gefrood hon
dü......  froo-sd.....froo-dest..... wearschd froo....host gefrood.....harrest gefrood...   wearsch gefrood hon
hä....... froo-d......froo-de........ weard froo.........hot gefrood----  hat gefrood.........  weart gefrood hon
mer..... froo-n..... froo-den...... wären froo........hon gefrood....   harren gefrood....  wären gefrood hon
ehr.......froo-d..... froo-det....... wärd froo..........hot gefrood.....  harret gefrood.....  wärt gefrood hon
se........ froo-n..... froo-den...... wären froo........hon gefrood.....  harren gefrooddd..wären gefrood hon

KONJUNKTIV
-ausfuehren-


2.Für das Passiv

INDIKATIV
-ausführen-



B. Deklination

I. Genitiv und Akkusativ

1. Anstelle des Genitiv tritt der Dativ mit nachfolgendem Possessivpronomen (z.B.:
   meinem Bruerer sein Hüt; demm sei Bild). Oder es wird das Wort "vom"
   verwendet (z.B.: de Fraa vom Heiner).

   Es scheint Ausnahmen zu geben. So heißt es in dem Gedicht "Eiersorgen" von
   Werner Schmidt: "des Reinhards Weib, dos Katharine." Und Florentine Goswin-
   Benfer reimt: "met der Bärge steller Rüh", und "deiner Mensche Härz schlehd
   worme". Es muss offen bleiben, ob es sich um einen durch Rhythmus und Vers
   bedingten Tribut an das Hochdeutsche handelt.

2. Akkusativ und Nominativ fallen  weithin zusammen z.B.: Hä nahm da Hüt un     
   ging. (Er nahm den Hut und ging.) Krijje ma ins noch Eener! (Trinken wir noch einen!)

   Beachte aber: "Ech ging ee der Waald." Jedoch."Ech ging een Waald." (Beide: Ich ging in den Wald.)  
  (Verkappter Akussativ?)


II. Der Artikel

1. Der bestimmte Artikel

Es gibt einen unbetonten und einen betonten bestimmten Artikel.

a) Der unbetonte bestimmte Artikel lautet:

                                Singular                                               Pural

                                m.           f.           n.                 m.              f.           n.
_____________________________________________________________________
Nominativ                   da          de          dos              de/die         de          de

Dativ                        däm        da          däm            dä               dä          dä/de

Beispiele:

Da Junge äss noch klee. De Treppe äss huk. Dos Haus hot e Schäwwerdach.
Dos Fohrrod äss däm Junge. De Fraa stunn uff da Treppe. Dos Dach voo däm Haus äss schäp.
De Jungen speelen gäre Füsball. De Treppe veerm Haus sein em Wänter immer glood. De Haiser stenn oo da Schossie.
Duuhen kunne ma med dä Junge ned fohre. Mer sassen uff dä Treppe un lissen's ins güd gen.  Ewwerall hingen Plakate o de Haiser.

b) Der betonte bestimmte Artikel kennt folgende Formen:

Dä Wäg (hie) ged nu Re-inthe. (Der Weg hier/dieser Weg führt nach Rinthe.)
Die Treppe (hie) hot zah Stufe. (Die Treppe hier/diese Treppe hat zehn Stufen.)
Dos äss dos Haus om Bärg, vo däm su veel ee da Zeiringe sted. (Das ist das Haus am Berg, von dem soviel in der Zeitung steht.)

Maskulinum und Femininum Singularis haben also besondere, betonte Formen, die jedoch häufig auch beiläufig, unbetont gebraucht werden.

Die betonte Form spielt die Rolle eines Demonstrativpronomens und kann dementsprechend auch mit "derren", "derre", "detz" (dieser, diese, dieses) gesprochen und damit ggf. noch stärker betont werden., also: Derren Wäg ged nu Re-inthe. Derre Treppe hot zah Stufe. Detz Haus...

2. Der unbestimmte Artikel

                                m                         f                          n

Nominativ     en Mann (ein Mann)   e Fraa (eine Frau)      e Känd (ein Kind)

Dativ      nem Mann (einem Mann)  ner Fraa (einer Frau)  nem Känd (einem Känd)

Beispiele:

e – ein, eine. Kurzes, unbetontes “e”, unbestimmter Artikel, f., n. Nominativ. "E Fraa, e Känd." (Eine Frau, ein Kind.)  
en – ein. Kurzes unbetontes "e, unbestimmter Artikel, m., Nominativ. "En Mann." (Ein Mann.) z.B. "Dos ärren Mann!" (Das ist ein  Mann,) "Su en Daag!" (So ein Tag!)
nem – einem. Unbestimmter Artikel, m., n. Dativ. Z. B.: “De Schüh vo nem Mann, nem Känd.” (Die Schuhe eines Mannes – von einem Mann, eines Kindes – von einem Kind.)
ner – einer. Unbestimmter Artikel,f. Dativ. Z.B.: “”Saa dos muul ner Fraa!”(Sag das einmal einer Frau!)
tabellarisch:

beachte gleichlautend:
en - ihn, welchen (als Indefinitpronomen). Z.B. Wun: "Äs noch Käse do? Jo, mer hunnen noch." (Ist noch Käse da? Ja, wir haben noch welchen. -Ja, wir haben ihn noch. Chr. Homrighausen) Hem: „Host dü en ö gesäh?“ (Hast du ihn auch gesehen?)


C. Splitter

I. "Wittgensteiner Rhotazismus"
  ("r" - Umwandlungen)

1. Obligatorische Rhotazismen

Für Wittgensteiner Zungen scheint das Sprechen von "d" und "t, tt" in zweiter oder späterer Silbe - meistens zwischen zwei Vokalen-  ohne Reiz zu sein. Sie sprechen diese Buchstaben gerne als "r" oder "rr". Vergleichbares gilt für "s" - Kombinationen. Dabei sind viele derartige "r" - Umwandlungen obligatorisch; manche sind aber auch bloß optional, so dass man beide Fomen sprechen kann.


Beispiele für obligatorische Umwandlungen:

"harrest" (hattest), "werra" (wieder), "nerra" (nieder), "Gürres" (Gutes), "Hiere" (Hüte),"nerr" (Fe) (nicht), "gearr"(Fe) (geht), "loore" (laden), "speere" (spät), "derren" (dieser).

2. Optionale Rhotazismen

Beispiele für optionale Umwandlungen:

"saare" (sagte er) statt: "saat hä" oder "saaten de/ die". "E Wittgestee saaren (saaten de) de Laire seit eh unn je 'Machs gütt' beim ausenanna geh." (Trude Koch)

"merrem" (mit dem) statt: "met dem". "De Schellasche Maare sein su stulz, die gen noch om Sunndag merrem (met däm) Schrübba ee d's Hulz! "

"herre"  (hätte er) statt: "hett hä". "Wenn da Hund sech güd benumme hett, herre (hett hä) da Hoose kreje." "ärres" (ist es) statt äss es.  "Ee Wittjestee, du ärres schee!"

3. r - Vokalisierung

Ebenso wie im Hochdeutschen - wohl eher ausgeprägter – vokalisiert die Mundart „r“ gegen „a“. Da sie wesentlich stärker als das Hochdeutsche durch das gesprochene Wort geprägt ist, liegt es nahe, die von Möhn angewandte Schreibweise vorzuziehen, also z. B.: „fea(r)“, nicht fer (für), „wua(hr)“, nicht wur (wahr), “Dia(r)“, nicht Dier (Tier).


II. Zusammenziehungen (Abbreviaturen)

Als gesprochene Sprache ist die Mundart reich an Zusammenziehungen und Auslassungen, bis hin zur Reduktion kurzer Sätze auf ein Wort. Das sei an den folgenden Beispielen zu den häufig gebrauchten Verben "hon" (haben), "wünn" (wollen), "kinn" (koennen), "dünn" (tun) und "sinn"(sollen) dargestellt.

  mer/ma hon          mer/ma wünn          mer/ma kinn           mer/ma dünn           mer/ma sinn
  (wir haben)            (wir wollen)            (wir können)              (wir tun)                (wir sollen)

1. Grundform:                              Hon mer/ma dos?  Wünn mer/ma dos?    Kinn mer/ma dos?   Dünn mer/ma dos?      Sinn mer/ma dos  
  
2. Erste Stufe                                 Homma dos?         Wümma dos?          Kimma dos?          Dümma dos?              Simma dos?
   einer Zusammenziehung:
3. Zweite Stufe
   einer Zusammenziehung:            Homasch?             Wümmasch?            Kimmasch?            Dümmasch?         Simmasch?
                                             (Haben wir das?)     (Wollen wir das?)      (Können wir das?)      (Tun wir das?)       (Sollen wir das?)

                      Verneinung:

                                                                                                                   Nä !
                                                         Dos homma ned!        Dos wümma ned!              Dos kimma ned!              Dos dümma ned!       Dos simma ned!              
                                                     Das haben wir nicht!       Das wollen wir nicht!          Das koennen wir nicht!         Das tun wir nicht!      Das sollen wir nicht!
                       Bejahung:
                                                                                                          Jo !
                                                             Dos homma.                 Dos wümma.                      Dos kimma!                     Dos dümma!             Dos simma!
                                                            Das haben wir.              Das wollen wir.                Das köennen wir.                Das tun wir.          Das sollen wir.


III. Personenbezeichnungen


1. Bei Personenbezeichnungen wird der Vorname nachgestellt.

2. Derartige Bezeichnungen beginnen
:
a) herkömlich, falls vorhanden, vorzugsweise mit dem Hausnamen, z.B.: „Wosse Minche“ –  Wilhelmine aus dem Haus mit dem Hausnamen „Wosse“;
b) oder mit der Bezeichnung des Ortes, aus dem der Betreffende kommt, z.B.: „da Schellasche Anst“ - Ernst aus Schüllar; "da aiwische Herman" - Herman aus Aue. Es kommt auch der Geburtsort in Frage;
c) oder auch mit dem bürgerlichen Familiennamen, z.B.: "Althaus Willi“ – Willi Althaus.

3. An den vorangestellten Hausnamen oder die vorangestellte Ortsbezeichnung wird meist kein s/sch angehängt: "Gasse Josch," Georg aus dem Haus mit dem Hausnamen "Gasse". Anders verhält es sich bei dem vorangestellten bürgerlichen Familiennamen: „Schneirasch Emma“,„Aderholds Karl“. Es könnte sich hier – ausnahmsweise – um einen Genitiv –s handeln.

4. Vornamen werden in der Regel anders als im Hochdeutschen mit dem bestimmten Artikel gesprochen, z.B.: „Da Fretz kam grore heeme“. (Fritz kam gerade nach Hause.)

5. Frauennamen sind sächlich, z.B.: „‘s Kathrinche äss kraank.“ "Dos" in Kurzform: „‘s“. Das gilt auch für die Konjugationen „`s Lina äss du.`s setzt e da Stuwwe.“ ("Dos/ äs setzt...", nicht: Se setzt ...)  Ähnlich bei dem personenbezogen oder demonstrativ benutzten bestimmten Artikel: "Dos Kleene – daff dos dos?“ (ein Mädchen! - "dos"! Bei einem Jungen wÜrde man sagen: "Da/dä Kleene - daff hä dos?")


IV. Verwandtschaftbezeichnungen

1. Die Eltern heißen: Mamma, Mamme, Babba, Babe, Modda, Mudda, Motter, Papa, Vadder, Vatter;
die Großeltern: Aba,  Ama, Altvadda, Altvadder, Altvatter, Altmodda, Altmodderr, Aoltmutter, Großvadda, Großmodda, Oba, Oma, Ubba, Umma;
die Urgroßeltern: Ällermoder, Ürama, Ürumma, Üroma,  Üraoltmudder, Ürgroßmodda, Ällervadder, Ürubba, Üropa, Uropa, Üralvadder, Ürgroßvadda.

2. Durch Heirat werden die Geschwister des Paares Schwoger und Schwägerin.

3. Die Kinder der Geschwister sind "de Geschwister Känne", näher

a) ersten Grades: "rachde Geschwesder Känne",
b) zweiten Grades: " anna Geschwesder Känne."

Sie heißen: Kusine,  Kosine und Kuseng, Koseng.

4. Die Taufpaten heißen: Petter, Pedder, Pedda und Gute, Gote, Gode, Gorrel.
(vgl. dazu:  D. Moehn, Anredeformen und Personenbezeichnngen. in: Wittgenstein III, S. 691 ff.)

V. Anrede, Höflichkeitsformen

1. Vorherrschende Anrede ist „dü“ –du. Kein „sie“ ! ("Ech sein med em per dü.") Respektpersonen und ältere Personen, die Eltern und besonders die Großeltern wurden früher mit „ehr“ –„ihr“, „üch“- euch,"öwwe"- Euer, angesprochen.  Vielleicht empfiehlt sich das heutzutage noch bei höher Gestellten. Gelegentlich wird "ehr" - meist eher verlegen - als Ersatz für das fehlende "sie" genommn, und zwar bei nicht zur Familie oder dem Bekanntenkreis zählenden Personen, bei denen man sich wegen der sozialen Distanz scheut, unbefangen das "Du" anzuwenden.

2. Statt "bitte" sagt man:"Sei su güd!" (Sei so gut!)  "Hä saad werra sei Fraa: Sei doch su güd un gäb ma dos Büch!"

3. Man grüßt mit: "Mach's güd" (Mach's gut, Auf Wiedersehen), "Ge Morje" (Guten Morgen), "Gun Dach" (Guten Tag), "Genowend" (Guten Abend), "Ge Nochd" (Gute Nacht).

VI. Verkleinerungen
(Diminuitiv)

Verkleinerungen bildet man mit „-che“, -cha", das eventuell auch „-je“ gesprochen werden kann. Im Plural wird ein „r“ angehängt. Eventuell auch Änderungen im Stamm des Hauptwortes. (z.B. „Haus“ -„Haische“ – „Haischer“; „Känd“ – „Kändche“ – „Kännercher“)



VII. Verlaufsform


Man kann wie bei der sog. Rheinischen Verlaufsform sagen: "Dos äss om schloofe unn rifft glech oo." Man kann aber auch "dünn" (tun) mit dem Infinitiv verwenden: "Hä dütt gäre koche." Diese Verlaufsform wird war auch im Hochdeutschen gesprochen, gilt füer die Schriftsprache allerdings als stilistische Verfehlung.


VII. Bestätigung heischendes Fragewort

Das Bestätigung heischende Fragewort lautet: "woa ?" "Dü host mech doch gäre, woa?" Wenn ein mit Platt Aufgewachsener Hochdeutsch spricht, sagt er stattdessen oft nicht etwa "nicht wahr?", sondern "woll".

IX. Ortsbezeichnungen  
                                änne                                                  öise
                               innen                                                  außen   
                     De Hausdeere ged nu änne un de Kechedeere ged nu öise uff.
                                                                                                  
                               raus                                                      naus
                               heraus                                                   hinaus                                                                                                                                                                                          
                     De Junge sein döise un rüffen: "Komm raus!" Ech gen naus.

                               unne                     owe                         dowe
                               unten                    oben                       droben
       Mei Kännazimmer äss unne un de Stuwwe äss owe. Mer Känne sein alleweil gäre dowe.

                               döise                                                dränne
                               draußen                                            drinnen
 
                                ree                                                   nee                 
                               herein                                           hinein
               Mei Modder äss dränne un rifft: "Komm ree!" Ech sein döise, un du gen ech nee.
          
                                 dronne                ronner             nonner
                                 drunten                   herunter          hinunter
                   Mei Brürer äss dronne un rifft: Komm ronner". Ech sein owe un gen nonner.

                                 dronner                                                 drewwer
                                 drunter                                                 drüber
                                               Hie geds dronner unn drewwer.

                                 dewwer               rewwer                   newwer
                                 drüben                herüber                   hinüber
                       Mein Frëind sted dewwer un rifft: "Komm newwer." Ech gen rewwer.
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Dr. Peter Kickartz, 57319 Bad Berleburg - Hemschlar, Hof Rinthersbach. Postalisch: 52074 Aachen, Hans Böckler - Allee 3
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